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Title:
SYSTEM AND METHOD FOR QUANTITATIVE EXAMINING OF POSTURAL CONTROL OF PERSONS
Document Type and Number:
WIPO Patent Application WO/2016/038215
Kind Code:
A1
Abstract:
The invention relates to a system for quantitative examining of postural control of persons when stance assessments are carried out, comprising the following: a 3D sensor system for measuring the spatial positions of body parts of a person over time, - means for deriving information from the sensor system, - means for displaying and playing back audio-visual information, means for determining quantitative parameters, wherein the means for determining quantitative parameters determines such both for the swaying behaviour of the overall body and for individual body parts, in particular limbs.

Inventors:
OTTE KAREN (DE)
BRANDT ALEXANDER (DE)
MANSOW-MODEL SEBASTIAN (DE)
Application Number:
PCT/EP2015/070895
Publication Date:
March 17, 2016
Filing Date:
September 11, 2015
Export Citation:
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Assignee:
MOTOGNOSIS UG (DE)
International Classes:
A61B5/11
Foreign References:
US20110213278A12011-09-01
US5388591A1995-02-14
US20110213278A12011-09-01
US20130289449A12013-10-31
Other References:
KUNG U M ET AL: "Postural instability in cerebellar ataxia: Correlations of knee, arm and trunk movements to center of mass velocity", NEUROSCIENCE, NEW YORK, NY, US, vol. 159, no. 1, 3 March 2009 (2009-03-03), pages 390 - 404, XP026075429, ISSN: 0306-4522, [retrieved on 20081214], DOI: 10.1016/J.NEUROSCIENCE.2008.11.050
HONEGGER F ET AL: "Coordination of the head with respect to the trunk, pelvis, and lower leg during quiet stance after vestibular loss", NEUROSCIENCE, NEW YORK, NY, US, vol. 232, 29 November 2012 (2012-11-29), pages 204 - 215, XP028577912, ISSN: 0306-4522, DOI: 10.1016/J.NEUROSCIENCE.2012.11.025
ROSS A CLARK ET AL: "Validity of the Microsoft Kinect for assessment of postural control", GAIT & POSTURE, ELSEVIER, AMSTERDAM, NL, vol. 36, no. 3, 15 March 2012 (2012-03-15), pages 372 - 377, XP028449825, ISSN: 0966-6362, [retrieved on 20120421], DOI: 10.1016/J.GAITPOST.2012.03.033
CLARK, R. A; PUA, Y.-H.; FORTIN, K.; RITCHIE, C.; WEBSTER, K. E.; DENEHY L.; BRYANT, A. L.: "Validity of the Microsoft Kinect for assessment of postural control", GAIT & POSTURE, vol. 36, no. 3, 2012, pages 372 - 7
CHAUDHRY, H.; BUKIET, B.; JI, Z.; FINDLEY, T.: "Measurement of balance in computer posturography: Comparison of methods-A brief review", JOURNAL OF BODYWORK AND MOVEMENT THERAPIES, vol. 15, no. 1, 2011, pages 82 - 91
LAFOND, D.; DUARTE, M.; PRINCE, F.: "Comparison of three methods to estimate the center of mass during balance assessment", JOURNAL OF BIOMECHANICS, vol. 37, no. 9, 2004, pages 1421 - 6
CORPORAAL, S. H. A; GENSICKE, H.; KUHLE, J.; KAPPOS, L.; ALLUM, J. H. J.; YALDIZLI, Ö.: "Balance control in multiple sclerosis: correlations of trunk sway during stance and gait tests with disease severity", GAIT & POSTURE, vol. 37, no. 1, 2013, pages 55 - 60
Attorney, Agent or Firm:
SCHULZ, Ben Jesko (DE)
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Claims:
II. ANSPRÜCHE System zur quantitativen Untersuchung der posturalen Kontrolle von Personen bei der Durchführung von Stand- Assessments, das folgendes umfasst:

• 3D-Sensor-System zum Messen der räumlichen Postionen von Körperteilen einer Person über die Zeit,

• Mittel zum Ableiten von Informationen von dem Sensor-System,

• Mittel zum Anzeigen und Abspielen von audio-visuellen Informationen,

• Mittel zum Bestimmen quantitativer Parameter,

dadurch gekennzeichnet, dass das Mittel zum Bestimmen quantitativer Parameter solche sowohl für das Schwankungsverhalten des Gesamt-Körpers, als auch für einzelne Körperteile, insbesondere Gliedmaßen, bestimmt.

System nach Anspruch 1,

dadurch gekennzeichnet, dass ein markerbasiertes Sensor-System zum Einsatz kommt.

System nach Anspruch 1,

dadurch gekennzeichnet, dass ein markerloses SensoreSystem zum Einsatz kommt.

Verfahren zum Bestimmen quantitativer Parameter aus dreidimensionalen Positionsdaten von Körperteilen einer im Stand befindlichen Person im Verlauf über die Zeit,

dadurch gekennzeichnet, dass sowohl das Schwankungsverhalten des Körpers insgesamt, als auch die Bewegungen einzelner Körperteile, insbesondere Gliedmaßen, quantifiziert werden.

Verfahren entsprechend Anspruch 4,

dadurch gekennzeichnet, dass die dreidimensionalen Positionsdaten vor ihrer analytischen Verarbeitung Rausch- und Fehler-bereinigt werden.

Verfahren entsprechend Anspruch 4 oder 5,

dadurch gekennzeichnet, dass die dreidimensionalen Positionsdaten vor ihrer analytischen Verarbeitung in ein Referenz-Koordinatensystem transformiert werden, welches über sämtliche Messungen hinweg einheitlich ist.

Verfahren entsprechend einem der vorhergehenden Ansprüche,

dadurch gekennzeichnet, dass quantitative Parameter zur Beschreibung der posturalen Kontrolle durch den Verlauf der Haltung des Oberkörpers generiert werden.

Verfahren entsprechend einem der vorhergehenden Ansprüche,

dadurch gekennzeichnet, dass quantitative Parameter zur Beschreibung der posturalen Kontrolle durch den Verlauf der Positionen von Ellenbogen und / oder Händen generiert werden.

Verfahren entsprechend einem der vorhergehenden Ansprüche,

dadurch gekennzeichnet, dass quantitative Parameter zur Beschreibung der posturalen Kontrolle durch den Verlauf der Positionen von Knien und/oder Füßen generiert werden. System nach Anspruch 3,

dadurch gekennzeichnet, dass das System während der Messung in Echtzeit die korrekte Durchführung überprüft, und an einen Durchführenden oder die gemessene Person, textuell, visuell oder auditorisch entsprechende Rückmeldung zur Durchführung gibt.

Description:
I. BESCHREIBUNG

System und Verfahren zur quantitativen Untersuchung der posturalen Kontrolle von Personen.

Die vorliegende Erfindung betrifft ein System und Verfahren zur sensorgestützten Generierung quantitativer Parameter, welche die posturale Kontrolle einer Person bei der Durchführung von Stand- Assessments beschreiben und bei der klinischen und therapeutischen Diagnostik genutzt werden können.

Bei einer Vielzahl von Krankheiten spielt für Ärzte und Therapeuten die Beurteilung der motorischen Fähigkeiten eines Patienten eine große Rolle, sowohl bei einer initialen, klinischen, als auch einer therapiebegleitenden Diagnostik. Der Aspekt der posturalen Kontrolle, also der Fähigkeit einer Person, eine aufrechte Körperposition beizubehalten, ist dabei häufig von wesentlichem Interesse, da hieraus diagnostische Schlüsse über verschiedene Krankheitsbilder, wie zum Beispiel multiple Sklerose, Parkinsons oder Schlaganfall, gezogen werden können.

In der klinischen Routine werden motorische Fähigkeiten mit Hilfe sogenannter Assessments untersucht, kurzen und spezifischen Übungen die eine bestimmte motorische Aufgabe beinhalten. Ein Problem ist hierbei wenn die Beurteilung der posturalen Kontrolle lediglich subjektiv durch das Personal erfolgt. Zum einen kann diese mit bloßem Auge nur grob qualitativ durchgeführt werden, es wird lediglich eine Bewertung in grobe Kategorien vorgenommen. Beispielsweise werden in der Berg-Balance-Skala, einem der etabliertesten Routinetests zur Bewertung des Gleichgewichtsverhaltens, die verschiedenen Teilaufgaben nur in die ganzzahligen Kategorien 0 (schlecht) bis 4 (gut) bewertet. Feinere Änderungen der Symptomatik, zum Beispiel im Laufe einer Therapie, können damit nicht erfasst werden. Zum anderen variieren die erhobenen Beurteilungen stark, sowohl bei einzelnen, als auch zwischen verschiedenen Untersuchern. Damit sind diese nur bedingt vergleich- und für vergleichende oder Verlaufs-Diagnostik verwendbar. Des weiteren können durch Personal nur die offensichtlichsten Eigenschaften der posturalen Kontrolle eines Patienten (zum Beispiel Ganzkörperschwanken oder kompletter Gleichgewichtsverlust) beurteilt werden, die komplexen Muster und Effekte die im Detail auftreten (z.B. Zittern, Ausgleichsbewegungen mit den Armen, langsame Haltungsverlagerungen) bleiben dabei meist unbeachtet.

Um die Beurteilung der posturalen Kontrolle von Patienten zu objektivieren und eine detaillierte Quan- tifikation relevanter motorischer Effekte zu ermöglichen gibt es Ansätze, die Durchführung medizinischer Assessments sensorisch aufzuzeichnen und auszuwerten.

In [US 53885910] wurden für die Beurteilung der posturalen Kontrolle einer stehenden Person Druckmessplatten verwendet, um den Verlauf des Druck-Zentrums der Füße (center of pressure, kurz CoP) über die Zeit aufzuzeichnen, die Ergebnisse grafisch darzustellen, und damit medizinischem Personal detailliertere, wenn auch weiterhin subjektive, Diagnose-relevante Daten zur Verfügung zu stellen. Eine Weiterentwicklung der Analyse des CoP ist die darauf basierende Approximation des Masse- Zentrums des Körpers der Person (center of mass, kurz CoM). Eine vergleichende Übersicht etablierter Methoden zur Approximation des CoM wird in [Lafond et al, 2004] gegeben. Neben der verbreiteten Nutzung von Druckmessplatten wird hier ebenfalls die Möglichkeit vorgestellt, das CoM mit Hilfe von 3D-Sensorik zu approximieren, indem 16 Körper-Punkte mit optischen Markern versehen und aus verschiedenen Perspektiven von Kameras aufgezeichnet werden. Auf Basis eines Modells der Masseverteilung des menschlichen Körpers wird mit diesen Daten das CoM näherungsweise bestimmt. Dieses Verfahren erfordert allerdings aufwändiges Anbringen und Kalibrieren der optischen Marker am Körper, und ist nur unter Laborbedingungen praktikabel.

In [Chaudry et al, 2011] werden aktuell bekannte Parameter zur Quantifizierung der posturalen Kontrolle auf Basis von CoP und CoM vorgestellt und verglichen. Ihnen allen ist gemein, dass sie die posturale Kontrolle nur reduziert auf die Gesamt-Körper-Schwankung, abgebildet über einen Körper-Punkt, betrachten, und komplexere Bewegungsmuster (wie zum Beispiel Zittern und Ausgleichsbewegungen mit den Armen) entsprechend nicht abbilden können. Dies gilt ebenso für Schwankungsmessungen wie sie mit tragbaren Beschleunigungs- und Gyoskop-Sensoren in [Corporaal et al, 2013] untersucht werden. In [US 20110213278 AI] wird 'Mobility Lab' beschrieben, ein System tragbarer, drahtlos vernetzter Sensoren mit Beschleunigungs- und Gyroskopfunktionen, welches zusätzlich Plugins für die Durchführung und Auswertung von einem Stand- Assessment, sowie einer Reihe von Gang- und Druck-Assessments bietet. Hierbei wird ebenfalls beim Stand- Assessment lediglich ein Sensor verwendet und somit unter den gleichen Einschränkungen wie bei den zuvor referenzierten Ansätzen operiert. Desweiteren erfordern die Systeme mit tragbaren Sensoren, ähnlich solchen mit optischen Markern, umfangreiche Vorbereitungen und eignen sich somit nicht für den eigenständigen Einsatz, insbesondere nicht durch Patienten zuhause.

Durch das in Anspruch 1 aufgeführte System und das Verfahren in Anspruch 4 wird die Einschränkung bestehender Systeme und Verfahren aufgelöst, dass posturale Kontrolle lediglich über die Gesamt-Körper- Schwankung quantifiziert wird. Durch die Einbeziehung einzelner Körperteile, insbesondere Gliedmaßen, werden zuvor völlig unzugängliche diagnostische Parameter zur Verfügung gestellt.

Eine Ausführung der Erfindung verwendet ein markerb asiertes 3D-Sensor-System. Bei markerb asierten Systemen können verschiedene Marker an fest definierten Positionen an einer Person angebracht werden, die mit einem Messsystem aus mehreren Sensoren aufgenommen werden. Die Marker sind dabei so angebracht, dass mehrere Marker eine Extremität der Person auf eine festgelegte Art und Weise beschreiben. Die Bewegung der Marker im Raum ist dann vom Messsystem erfassbar und kann von diesem aufgenommen und weiterverarbeitet werden. Durch die festgelegten Positionen der Marker können die menschlichen Gelenke und Extremitäten als Modell abgeleitet und für weitere Verarbeitungen zur Verfügung gestellt werden. Diese Erfindungs- Ausführung hat den Vorteil, dass sehr genau arbeitet, bringt aber eine Reihe von Nachteilen mit sich. So müssen die Marker vor einer Messung aufwändig am Körper angebracht und kalibriert werden, und die Messungen sind räumlich an feste Systeminstallationen gebunden. Eine alternative Ausführung der Erfindung verwendet ein markerloses 3D-Sensor-System. Markerlose Systeme sind beispielsweise eine Kombination von RGB-Video-Kameras, oder 3D Kameras die über ausgesendetes Infrarotlicht ein Tiefenbild der Umgebung erzeugen können. Das Ergebnis dieser Kamerasysteme ist eine Menge von 3D Punkten in rasterisierter Form, sogenannte Tiefenpixel. Der Nachteil dieser Erfindungsausführung ist, dass keine Marker-Informationen zur Identifikation von bestimmten Körperpunkten vorliegen, so dass aus den Tiefenpixel-Bildern mittels Körpermodell-basierter Analyse und/oder Machine Learning Algorithmen zunächst Menschen erkannt und in ein Skelettmodell mit räumlichen Körperpunkten übertragen werden müssen. Für Tiefenbild-Sensoren wie zum Beispiel die Microsoft Kinect gibt es SDKs, welche diese Aufgabe lösen, allerdings sind deren Modellannahmen nicht optimal auf bestimmte Assess- ments abgestimmt, und man muss z.B. auf Grund von Kleidung mit Ungenauigkeiten beim approximierten Körpermodell rechnen. Diese Ausführung bietet aber den großen Vorteil, dass keinerlei Vorbereitungen für die zu messende Person nötig sind, und diese im Prinzip ohne Betreuung durchgeführt werden kann. Des weiteren gibt es Tiefenbild-Sensoren in sehr kompakten und preiswerten Ausführungen, so dass ein Einsatz im häuslichen Umfeld von Patienten möglich wird.

Bei einer weiteren zweckmäßigen Ausführung der Erfindung wird abhängig vom verwendeten Messsystem das Rauschverhalten der einzelnen Körpermesspunkte ausgeglichen. Dafür kann beispielsweise ein 'moving average'- oder ein 'lowpass'-Filter auf jedes Körperpunkt-Signal angewandt werden. Die Länge des moving average Fensters würde sich dabei nach der Abtastrate des Messystems richten und sollte nicht mehr als eine Sekunde betragen. Die Filterungen ermöglichen ein Ausgleich des System-bedingten Rauschens bei gleichzeitigem Erhalt gewünschter Signalcharakteristiken (zum Beispiel Signal- Auslenkungen bei Ausfallschritten und Ausgleichsbewegungen).

In einer weiteren Ausführung der Erfindung werden alle gemessenen Positionsdaten normalisiert, indem sie in ein uniformes Koordinatensystem transformiert werden, welches über verschiedene Messungen gleich bleibt. Dies ermöglicht eine bessere Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Messungen und ist notwendig für sämtliche Analysen die nicht nur Körper-interne Relationen betrachten. Ein konkretes Beispiel für eine solche Normalisierung ist der Ausgleich von Variationen in der Sensor Ausrichtung in Relation zur gemessenen Person unter Berücksichtigung des horizontalen und vertikalen Winkels des Sensors sowie des Rotationswinkels des Messsubjekts, indem alle Messpunkte durch ausgleichende Rotation transformiert werden.

In einer weiteren Ausführung betrachtet man die Bewegung des Körperpunktes des unteren Rückens im dreidimensionalen Raum. Diese beschreibt das Schwankungsverhalten einer Person, wenn man die Bewegung relativ zu einem Basispunkt betrachtet. Der Basispunkt kann dabei beispielsweise als initiales Lot des Körpers zum Boden, als Mittelpunkt der Füße oder als Mittelpunkt der Knöchel über die Gesamtmessung berechnet werden. Die Bewegung wird anschließend als Vektor vom Basispunkt zum Hüftpunkt beschrieben und kann durch Winkeländerungen das Schwankungsverhalten beschreiben (siehe Zeichnun- gen 13, 14 und 15). Zusätzlich kann die Bewegung im metrischen Koordinatensystem über Messwerte wie die Geschwindigkeit, Beschleunigung und Auslenkung des Hüftpunktes beschrieben werden. Um die Unabhängigkeit dieser Messwerte von der Höhe des Hüftpunktes zu erreichen werden alle metrischen Messwerte durch diese Höhe normiert.

In einer weiteren Ausführung werden Ausgleichsbewegungen der Arme betrachtet. Bei abnehmender Balance kann es zu einer Veränderung der Armhaltung und zu Ausgleichsbewegungen der Arme kommen. Dieses Verhalten dient der Stabilisierung des Körpers. Eine Quantifizierung dieser Armbewegungen und Haltung ist möglich durch zum Beispiel die Winkelgeschwindigkeit, -beschleunigung und -auslenkung der Bewegungen. Dafür wird der Armvektor vom Schulterpunkt bis zum Ellenbogenpunkt (siehe Zeichnung 16) bzw. Handpunkt genutzt um die Winkel zwischen den Vektoren einzelner Frames zu berechnen. Alternativ kann auch der Winkel zwischen dem Körpervektor und dem Armvektor als Berechnungsgrundlage genutzt werden.

Bei auftretender Instabilität in Stehversuchen kann es zur Ausgleichsbewegungen des Oberkörpers kommen, welche in einer weiteren Ausführung betrachtet werden. Dabei wird der Oberkörper deutlich geneigt um die auftretende Schwankung des Unterkörpers auszugleichen. Diese Ausgleichsbewegungen unterscheiden sich deutlich von einer normalen Pendelbewegung des ganzen Körpers, da sich der Oberkörper stärker und schneller neigt.

In einer weiteren Ausführung werden Ausfallbewegungen der Beine quantifiziert. Wenn es zu einem Verlust der Balance wärend einer Standmessung kommt, reagiert der Körper unterbewusst mit einer Abfangbewegung bei der versucht wird, einen Sturz zu verhindern. Diese Bewegung ist typischerweise ein Ausfallschritt, bei der das Bein versucht den Körper abzufangen. Bei Erkrankungen kann dieses Verhalten verzögert auftreten oder nicht ausreichen um einen Sturz zu verhindern. Um dieses Verhalten quantitativ zu beschreiben werden Messwerte wie die Schrittlänge /-breite, Anzahl der Schritte pro Messung, Reaktionszeit, Geschwindigkeit und Beschleunigung des Fußes genutzt.

In einem optionalen Verfahrensschritt können erhobene quantitative Werte mit vorher erhobenen Werten aus einer Normkohorte verglichen werden. Diese Werte werden vom System bereit gestellt und dienen der Einordnung der neuen Messwerte zu einer oder mehreren Kontrollgruppen. Der Vergleich kann durch automatische Gruppierungsverfahren wie Klassifikationsverfahren oder Clustering- Verfahren unterstützt werden.

In einer weiteren Ausprägung gibt das System Durchführungsanweisungen an die zu messende Person. Diese muss vorher instruiert werden, wie sie sich während der Messung zu verhalten hat und wie die Messung korrekt durchgeführt wird. Dies kann durch eine weitere Person (Operator) oder durch das System selbst erfolgen. Dabei können visuelle und auditorische Medien (Bild und Ton) eingesetzt werden. Die Instruktionen durch das System können in Kombination mit einem markerlosen Messsystem von einer einzelnen Person allein und selbstständig auch in nicht-klinischen Umgebeungen wie zum Beispiel zuhause durchgeführt werden. Weitere Einsatzmöglichkeiten gibt es im Reha-Umfeld oder Sporteinrichtungen.

Eine weitere Ausführung betrifft die automatische Überprüfung der Durchführung und entsprechendes Feedback. Damit ein Mindest-Qualitätsstandard für jede Messung eingehalten wird, sollte die Durchführung der Messung vor und während der Aufnahme überprüft, und der Proband auf potentielle Fehlerquellen hingewiesen werden. Dies beinhaltet im besonderen, aber nicht ausschließlich die Überprüfung der Messumgebung auf störende Einflüsse (Lichtquellen, Möbel), der Startposition und -haltung vor und während der Messung, sowie auf Gefahrensituationen (z.b. bei zu großer Instabilität). Die Person kann in einem optionalen Schritt genau darauf hingewiesen werden, wenn die Messung ungültig war und wiederholt werden müsste. Dies ist vor allem in einem Szenario sinnvoll, in dem kein Operator die Messung zusätzlich überprüft.

I. Beispiel: Quantifizierung der posturalen Kontrolle in der Multiplen Sklerose mittels eines markerlosen Tiefensensors

LI Studien-Aufbau

In einer Querschnittsstudie wurden 100 Patienten mit multipler Sklerose mit 60 gesunde Kontrollen (zu Zusammensetzung und Eigenschaften siehe Zeichnung 1) anhand einer Reihe von klinischen Scores und Assessments (siehe Tabelle 1) verglichen. Von diesen wurden 5 Patienten und 1 gesunde Kontrolle wegen nicht MS-assoziierter Behinderungen ausgeschlossen. Alle Personen erteilten eine schriftliche Einverständniserklärung, und das Ethikkomitee der Charite - Universitätsmedizin Berlin genehmigte das Protokoll (EA1/225/12).

Score Beschreibung

EDSS Expanded Disability Status Scale

T25FW Timed 25ft Walk

SDMT Symbol Digit Modalities Test

LCLA Binocular Low Contrast Letter Acuity with Sloan 2.5% Charts

WALK-12 MS Gangskala mit 12 Items

MSMOTION Kinect-basierte Sammlung von 12 motorischen Assessments

SMSW Short Maximum Speed Walk

Tabelle 1: Durchgeführte Assessments

Insbesondere wurden im Rahmen von MSMOTION drei Assessments der posturalen Kontrolle mit dem System und Verfahren dieser Erfindung durchgeführt und verarbeitet. Es handelte sich dabei um passive Stand Assessments, bei denen der Proband jeweils in offenem, geschlossenem oder Tandem-Stand ohne Einwirkung äußerer Einflüsse ruhig stehen bleiben sollte. Jedes dieser drei Stand Assessments war in zwei Phasen von jeweils 15 Sekunden Länge unterteilt, eine mit offenen Augen, und eine mit geschlossenen Augen. Dabei wurde in der weiteren Auswertung nur die jeweils letzten 12 Sekunden betrachtet, um Übergangsartefakte auszuschließen. Die verschiedenen Stand-Arten und der Assessment-Ablauf sind in Zeichnung 2 dargestellt.

1.2 System-Aufbau und Durchführung

Bei diesen Assessments kam als 3D-Sensor eine Microsoft Kinect zum Einsatz, ein markerloser Tiefensensor mit RGB Kamera, Infrarot Emitter und Infrarot Kamera, welche mit einer Frequenz von 30 Hz Tiefenmasken in einer Auflösung von 320 x 240 Pixeln von ihrem Sichtfeld generiert. Als Mittel zum Ableiten von Informationen von dem Sensor-System kam ein Laptop PC mit Betriebssystem Windows 7 und Kinect Software Development Kit 1.8 zum Einsatz, welches auch die Extraktion der Körperpunkte aus den Tiefenmasken übernahm. Der Aufbau des Kinect Sensors ist in Zeichung 3 dargestellt.

Es kam eine speziell entwickelte Software zum Einsatz, welche von einem Operator genutzt wurde, während ein Proband im definierten Abstand von 2 Metern vor dem Sensor das Assessment ausführte. Diese Software zeigte in Echtzeit das vom Sensor empfangene RGB Video an und visualisierte die vom Kinect SDK empfangenen Körperpunkte als Überlagerung des RGB Videos, womit dem Operator eine optische Überprüfung des Personen-Trackings ermöglicht wurde. Desweiteren wurden dem Operator die Durchführungsanweisungen der aktuellen Assessment-Phase angezeigt, welche dieser dem Probanden mitteilte. Der Operator startete jedes Assessment manuell durch Tastendruck, woraufhin die Software ein akustisches Signal abspielte und die Datenaufnahme startete. Anschließend wurde für jede Phase ein Countdown angezeigt, und automatisch zur nächsten Phase gewechselt, bzw. die Aufnahme beendet, wobei bei Phasen-Übergang und Aufnahmeende erneut ein akustisches Signal abgespielt wurde.

1.3 Vorverarbeitung

Die von der Software aufgenommenen Daten wurden auf dem Laptop PC in Form einer Comma-Separated- Value-Datei (.csv) gespeichert. Diese Datei beinhaltet die 3D-Punktkoordinaten jedes Gelenkpunktes über die gesamte Messung. Außerdem ist jedes gemessene Frame mit einer durchlaufenden Nummer und einem Zeitstempel versehen. Die Messdaten wurden zur weiteren Verarbeitung in die MATLAB Software eingelesen. Der räumliche und zeitliche Verlauf der Gelenkpunkte wurde weiterhin als , Gelenk-Signal' benutzt. Zur Minderung des Rauschens in den Messdaten wurde ein Moving-Average-Filter der Länge 30 (entsprechend 1 s) auf alle 3 Dimensionen jedes Gelenk-Signals angewandt, wie in Zeichnung 4 veranschaulicht.

Durch die horizontale Ausrichtung des Sensors und die frontale Ausrichtung der Person zum Sensor, musste nur die Neigung des Sensors durch die Normalisierung ausgeglichen werden. Die Neigung des Sensors während der Messungen betrug—9°. Alle Gelenksignale wurden um die X-Achse um 9° rotiert. 1.4 Quantifizierung

Um die Schwankungsvektoren des Körpers zu bestimmen wurde zuerst der Ausgangspunkt der Vektoren berechnet. Dafür wurde die mittlere Position von beiden Knöcheln über die gesamte Messung bestimmt. Ausgehend von diesem Punkt wurde für jeden Messzeitpunkt ein Vektor zum Hüft-(Mittel-)Punkt bestimmt. Anschließend wurden die Winkel zwischen zeitlich aufeinanderfolgenden Vektoren in den 2D-Projektions- Ebenen (XY und ZY, siehe Zeichnungen 13 und 14) und im 3D Raum (siehe Zeichnung 15) berechnet. Um die Geschwindigkeit des Schwankungsverhaltens zu ermitteln, wurde die Differenz aufeinanderfolgender Winkel berechnet, welche die Winkelgeschwindigkeiten der Schwankungsvektoren während der Messungen repräsentieren. Der Mittelwert der Winkelgeschwindigkeit einer Messung dient in diesem Beispiel als Quantifizierung und Vergleichswert des Schwankungsverhaltens zur Normkohorte.

Zwecks Quantifizierung der Ausgleichsbewegungen der Arme wurde ähnlich dem eben beschriebenen Algorithmus die mittlere Winkelgeschwindigkeit der Armbewegungen für den rechten und linken Arm bestimmt. Die Winkelauslenkung wurde dabei durch einen Vektor ausgehend vom Schulterpunkt bis zum Ellenbogenpunkt des jeweiligen Armes beschrieben (siehe Zeichnung 16).

1.5 Ergebnisse

In Zeichnung 5 ist ersichtlich, dass bereits die Körperschwankungs-Quantifizierung der in der Studie eingesetzten Ausprägung dieser Erfindung signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen der gesunden Kontrollen und der MS-Patienten abbildet. Dabei weisen diese Parameter insbesondere für den geschlossne- en Stand eine sehr gute Reliabilität auf, wie in Tabelle 2 ersichtlich ist, in welcher die Intraclass Correlation Coefficients (ICCs) von 35 gesunde Kontrollen und 18 MS-Patienten mit jeweils 3 Wiederholungsmessungen aufgelistet sind.

Parameter ICC

Offene Augen

Pitch Speed 0,927

Roll Speed 0,900

3D Speed 0,943

Geschlossene Augen

Pitch Speed 0,968

Roll Speed 0,933

3D Speed 0,971

Tabelle 2: Reliabilität (ICC) bei geschlossenem Stand

In Zeichnung 6 sieht man die Verteilung der Gruppen als Histogramm über die 3D-Körperschwankungs- Geschwindigkeit bei geschlossenem Stand mit offenen Augen, wobei 22 MS-Patienten (23,2 %) über der 95ten Perzentile liegen und 7 MS-Patienten (7,4 %) über der 99ten. In Zeichnung 7 ist dies für geschlossene Augen dargestellt, wobei 33 MS-Patienten (34,7 %) über der 95ten Perzentile liegen und 30 MS-Patienten (31,6 %) sogar über der 99ten.

In Zeichnung 8 sind für alle gesunden Kontrollen und MS-Patienten die 3D-Körperschwankungs- Geschwindigkeit gegen die Geschwindigkeit der Arm-Ausgleichsbewegungen im geschlossenen Stand mit offenen Augen abgetragen, in Zeichnung 9 mit geschlossenen Augen. Aus diesen ist ersichtlich, dass MS-Patienten im geschlossenen Stand sowohl mit offenen (p-Wert von 0,013), als auch geschlossenen Augen (p-Wert von 0,001) signifikant stärkere Ausgleichsbewegungen mit den Armen aufweisen.

Wie in Tabelle 3 ersichtlich ist, gab es keine signifikante Korrelation der 3D-Körperschwankungs- Geschwindigkeiten mit Alter, Größe oder BMI.

3D-Geschwindigkeit, 3D-Geschwindigkeit,

Offene Augen Geschlossene Augen

Alter 0,363 0,123

Größe 0,968 0,284

BMI 0,460 0,376

Tabelle 3: Korrelations-Signifikanz nach Pearson

In Tabelle 4 wird die Korrelation der 3D-Körperschwankungs-Geschwindigkeit im geschlossenen Stand mit den verschiedenen, in Tabelle 1 dargestellten, erhobenen klinischen Scores gezeigt. Insgesamt sind die Korrelationen mit Gang-, Motorik-, visuellen, zerebellären und umfassenden Erkrankungs-Scores moderat bis gut, mit meist hoher Signifikanz. Die Korrelation zwischen EDSS und der 3D-Körperschwankungs- Geschwindigkeit im geschlossenen Stand mit geschlossneen Augen wird in Zeichnung 10 illustriert.

Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die in diesem Beispiel dargestellte und untersuchte Ausprägung der Erfindung unter Verwendung einer Kinect als markerlosen Tiefensensor als klinisch relevant validiert wurde, wobei die Untersuchung des geschlossenen Standes sich als effektivste unter den durchgeführten Stand-Assessments für die Studien-Kohorte erwies. Etwa 30% der MS Patienten zeigten eine passive posturale Kontroll-Stabilität außerhalb der 99ten Perzentile von gesunden Kontrollen, ebenso wie einen deutlich erhöhten Umfang von Ausgleichsbewegungen mit den Armen. Des weiteren wurde gezeigt, dass diese diagnostisch relevanten Ergebnisse bereits mit dem minimalem Aufwand von 30 Sekunden mit geschlossenen Füßen vor dem Sensor stehen erzielt werden können, ohne dass irgendeine Vorbereitung der zu messenden Person erfolgen muss. Somit erwies sich diese Ausprägung der Erfindung als effektive Lösung zur umfassenden Quantifizierung der posturalen Kontrolle, sowohl unter Betrachtung ihrer klinischen Bedeutung, als auch der Handhabbarkeit bei der Messdurchführung.

Offene Augen Geschlossene Augen

EDSS 0,458 *** 0,531 ***

EDSS ce 0,520 *** 0,568 ***

EDSS wd -0,309 ** -0,366 ***

T25FT 0,318 ** 0,331 ***

LCLA -0,223 * o

SDMT -0,229 * o

WALK-12 0,340 *** 0,478 ***

SMSW -0,332 *** o

Tabelle 4: Korrelation der 3D-Geschwindigkeit mit Scores des Erkrankungsgrades beim geschlossenen Stand EDSS ce = cerebellar, wd = Walking distance

o) nicht signifikant *) p<0.05 **) p<0.01 ***) p<0.001

III. ZITIERTE LITERATUR

LITERATUR [US 53885910] Schutzrecht US 53885910 (1995) [US 2013/0289449] Schutzrecht US 2013/0289449 (2013). [US 20110213278 AI] Schutzrecht US 20110213278 AI (2011).

[Clark et al, 2012] Clark, R. a, Pua, Y.-H., Fortin, K., Ritchie, C, Webster, K. E., Denehy, L., & Bryant, A. L.:

Validity of the Microsoft Kinect for assessment of postural control. Gait & Posture, 2012, 36(3), 372-7.

[Chaudry et al, 2011] Chaudhry, FL, Bukiet, B., Ji, Z., & Findley, T.: Measurement of balance in Computer posturography: Comparison of methods-A brief review. Journal of Bodywork and Movement Therapies, 2011, 15(1), 82-91.

[Lafond et al, 2004] Lafond, D., Duarte, M., & Prince, F. : Comparison of three methods to estimate the center of mass during balance assessment. Journal of Biomechanics, 2004, 37(9), 1421-6.

[Corporaal et al, 2013] Corporaal, S. Fi. a, Gensicke, Fi., Kuhle, ]., Kappos, L., Allum, J. Fi. ]., & Yaldizli, Ö.: Balance control in multiple sclerosis: correlations of trunk sway during stance and gait tests with disease severity. Gait & Posture, 2013, 37(1), 55-60.